Eimen Baffoun und Daniel Hertzler
Dominik Seel

Deutschlands jüngster U19-Trainer startete seine Karriere beim IdS-Stützpunktverein SC Lerchenberg

„Führung bedeutet für mich: Vorleben statt Befehlen“

30.04.2025 –  Marlene Wienold

Daniel Hertzler sprach mit Eimen Baffoun, U19-Cheftrainer beim 1. FC Kaiserslautern, über Integration, Verantwortung und den Weg vom Jugendzentrum ins Nachwuchsleistungszentrum.

Daniel: Eimen, du warst Trainer im Jugendzentrum in Mainz-Lerchenberg, warst beim SC Lerchenberg aktiv, einem unserer Stützpunktvereine für Integration durch Sport, und bist dann im Nachwuchsleistungszentrum beim 1. FC Kaiserslautern gelandet. Kannst du kurz deinen persönlichen Werdegang schildern?

Eimen: Ganz ehrlich – ich hatte nie vor, Trainer zu werden. Mit 14 war das überhaupt kein Thema für mich. Das hat sich einfach so ergeben. Damals lief ein Projekt im Jugendzentrum in Mainz-Lerchenberg, organisiert über die Stiftung Juvente. Ziel war es, Jugendliche von der Straße zu holen, ein Nachmittagsangebot zu schaffen – und eben auch Fußballtraining anzubieten. Wir haben angefangen mit zwei, drei Kids. Irgendwann waren’s 17. Mehr als beim SC Lerchenberg selbst! Die haben dann natürlich Wind davon bekommen und mich gefragt, wie ich das schaffe, dass ich so einen guten Draht zu den Jungs habe. Kurz darauf wurde ich Trainer beim Verein. Zweimal die Woche Training, Spiel am Wochenende – das klang gut.

Daniel: Und sportlich lief es auch ziemlich gut, oder?

Eimen: Total. Wir sind von der Kreisklasse bis in die Verbandsliga aufgestiegen. Das ist in dem Altersbereich die höchste Spielklasse in Deutschland. Auf einmal spielten wir gegen die U13 vom FCK oder Mainz 05. Und dann wurden wir Zweiter – vor dem FCK! So kam auch der Kontakt zum FCK zustande, und ich bin sehr dankbar dafür. In fünf Jahren haben es 21 Spieler aus unserem Projekt in ein Nachwuchsleistungszentrum geschafft, viele davon aus derselben Siedlung vom Lerchenberg. Heute bin ich U19-Trainer beim FCK – und ich liebe diesen Verein. Hier geht’s auch um Werte. Genau das, womit alles angefangen hat.

Daniel: Gibt es eine besonders schöne Erinnerung aus deiner Zeit auf dem Lerchenberg oder etwas, was dich geprägt hat?

Eimen: Es gibt ganz, ganz viele Geschichten. Wenn ich mich aber für eine entscheiden müsste, dann wäre es die eines Spielers, der massive Probleme in der Schule hatte. Die Eltern waren geschieden, die Mutter alleinstehend und der deutschen Sprache kaum mächtig, wodurch auch die Kommunikation mit der Schule nicht gut funktioniert hat. Dieser Junge hat sich mir anvertraut, mir erzählt, dass er in der Schule nicht zurechtkommt. Er wollte einfach gesehen werden. Wir haben dann mehrere Gespräche geführt, und ich bin auch in die Schule gegangen. Da kannte ich noch einige Lehrer aus meiner eigenen Schulzeit. Ich habe mit ihnen gesprochen und es hat sich wirklich etwas verändert. Dieser Junge, der vorher als „Störenfried“ galt, entwickelte sich zu einem sehr soliden Schüler. Er konnte nach der Grundschule direkt auf ein Gymnasium wechseln. Der Fußball hat ihm da sehr geholfen: Er war Leistungsträger und später auch Kapitän meiner Mannschaft. Letztlich hat er es sogar ins Nachwuchsleistungszentrum des FCK geschafft. Für mich ist das eine der schönsten Geschichten. Ein Junge, bei dem niemand mehr an eine große Zukunft geglaubt hat, der aber durch den Fußball und durch die Unterstützung von uns eine ganz neue Perspektive bekam.

Daniel: Du hast dich über die Maßen für deine Spieler eingesetzt und sie auch neben dem Fußballplatz unterstützt. War das Teil des Programms? Wie bist du als 17-Jähriger dazu gekommen, dich so stark einzubringen?

Eimen: Es ging mir immer darum, den Spielern zu helfen. Im Leistungssport geht es nicht nur um die sportliche Leistung – du musst auch dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen.  Wenn ein Spieler schulische oder familiäre Probleme hat, dann ist das ein störender Faktor für seine Leistung. Ich habe früh gelernt, dass man sich auch um diese Dinge kümmern muss. Bei dem einen ist es die Schule, bei dem anderen vielleicht die Familie. Da musste ich mich auch mal an den Tisch setzen und mit den Eltern reden: „Euer Sohn braucht Unterstützung, hört auf, ständig zu streiten.“ Manchmal geht es eben auch darum, private Probleme zu lösen, die die Jungs belasten und ihre Leistung beeinträchtigen. In einem Verein wie dem SC Lerchenberg ist man sowieso alles: Cheftrainer, Co-Trainer, Physiotherapeut, Athletiktrainer – und eben auch ein Stück weit Sozialpädagoge, Unterstützer, vielleicht sogar eine Vater- oder „großer Bruder“-Figur für die Jungs. Diese Erfahrungen haben mir enorm geholfen und prägen meine Arbeit heute als NLZ-Trainer beim FCK.

Daniel: Mit der Trainertätigkeit hast du bereits als Jugendlicher früh angefangen, Verantwortung zu übernehmen, und du bist heute der jüngste U19-Cheftrainer in einem NLZ in Deutschland – wie wurdest du auf deinem Weg gefördert?

Eimen: Auch ich hatte Unterstützer, Förderer, Menschen, die mir Vertrauen geschenkt haben. Ohne diese Menschen wäre ich heute nicht hier. Meine Mutter war alleinerziehend und musste drei Kinder über die Runden bringen, was nicht immer einfach war. Da musste ich schon früh lernen, erwachsen zu werden, selbstständig zu sein und Dinge selbst zu regeln. Das hat mich sehr geprägt und sozusagen „abgehärtet“ fürs Leben. Natürlich habe ich auch viel Liebe von meiner Mutter und meinen Geschwistern bekommen. Aber ich musste früh Verantwortung übernehmen. Ich bin viel mit meinen älteren Geschwistern unterwegs gewesen – mit 8 Jahren war ich mit einem 19-Jährigen unterwegs, weil es einfach keine andere Möglichkeit gab. Ich musste zum Tischtennistraining meiner Schwester oder zu anderen Aktivitäten, und so hatte ich immer mit älteren Menschen zu tun. Das hat mich sehr reifen lassen und mir schon früh beigebracht, was wichtig ist, was sich gehört und was nicht. 
Ich hatte auch das Glück, einen tollen Grundschullehrer zu haben, mit dem ich über alles reden konnte. Er hat mich immer unterstützt. Ohne den Sport und ohne diese Unterstützung, die ich bekam, wäre es für mich vielleicht in eine andere Richtung gegangen. Der Sport hat mich immer von vielen negativen Einflüssen ferngehalten. Mit ungefähr 20 Jahren habe ich schließlich Helmut Zahn kennengelernt, der damals Nachwuchskoordinator beim FCK war und in mir viel Potenzial gesehen hat. Er sagte: „Du kannst gut mit den Jungs, du hast viel Empathie, du kannst Dinge vermitteln – wir wollen dich als Trainer ausbilden.“ Das war ein ganz wichtiger Schritt für mich.
Dass ich heute die Stelle als U19-Trainer begleiten darf, ist ein absolutes Privileg. Ich bin dazu auch einer der Jüngsten in Deutschland, was ich sehr zu schätzen weiß. Ich bin dem Verein und vor allem dem Sportlichen Leiter unseres NLZ, Uwe Scherr, extrem dankbar, weil er mich immer unterstützt hat. Ohne ihn wäre ich heute nicht da, wo ich bin.

 

  • Eimen Baffoun

    Eimen Baffoun (30) ist einer der jüngsten U19-Trainer in Deutschland.

    Dominik Seel

Daniel: Jetzt möchte ich noch auf das Thema Vielfalt eingehen. Gerade beim SC Lerchenberg war das ein zentrales Thema, Vielfalt war und ist dort sehr präsent. Wie sieht das im NLZ aus, wo du nun in einer leistungsorientierten Umgebung arbeitest?

Eimen: Im NLZ haben wir Spieler aus vielen verschiedenen Nationen und Kulturen. Die Spieler sind alle unterschiedlich, und die Arbeit hat sich in der Basis nicht wirklich verändert. Egal, wie hoch du als Trainer kommst – am Ende des Tages geht es immer um Führung. Es geht darum, die Spieler zu führen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder wohlfühlt, die Spieler zu verstehen und auf sie zuzugehen. Das ist der Schlüssel. Es gibt ganz verschiedene Charaktere, unterschiedliche kulturelle Hintergründe, die in die Arbeit einfließen. Du musst die Spieler verstehen, sie individuell ansprechen. Ich sage immer, es ist nicht möglich, jeden Spieler gleich zu behandeln. Das wäre auch ungerecht gegenüber dem Einzelnen. Ich kann nicht den Spieler mit Migrationshintergrund, der keine Unterstützung zu Hause hat, genauso behandeln wie einen anderen Spieler, dem alles abgenommen wird. Zum Beispiel, wenn ein Spieler zu spät zum Training kommt und ich weiß, dass er mit dem Zug anreisen muss und keine Eltern hat, die ihn fahren können, dann habe ich da viel mehr Verständnis. Klar, wir sind im Leistungsbereich, aber es ist wichtig, auch die Umstände zu berücksichtigen. Es geht also darum, nicht jeden Spieler gleich, aber jeden Spieler fair zu behandeln. Fußball ist eben mehr als nur Sport – es lehrt uns auch, wie man mit unterschiedlichen Menschen zusammenarbeitet und Ziele gemeinsam erreicht. Und das ist eine Fähigkeit, die in vielen Bereichen des Lebens wertvoll ist.

Daniel: Beim FCK gibt es unter anderem die soziale Vision, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Wie gehst du das konkret an? Wie planst du die Saison und baust ein Team, in dem sich jeder gut aufgehoben fühlt?

Eimen: Es geht darum, eine gemeinsame Identität und Identifikation zu schaffen. Der FCK hat eine sehr klare Identität, die schon bei der Kaderplanung beginnt. Wir suchen Spieler, die zu dieser Identität passen – Spieler mit Siegeswillen, Ehrgeiz, Kameradschaft. Für mich ist es auch wichtig, im Team zu leben, was man predigt. Es geht darum, ein Vorbild zu sein und den Spielern zu zeigen, dass sich niemand zu schade sein darf, für das Team einzustehen.

Daniel: Wir haben jetzt gerade über die gemeinsame Identität gesprochen. Wie funktioniert das im Leistungssport mit den Sprachbarrieren und kulturellen Unterschieden? Die Spieler müssen ja funktionieren?

Eimen: In erster Linie geht es darum, Verständnis zu schaffen. Verständnis auf beiden Seiten. Ich möchte nicht, dass ein Spieler sich zu 100 Prozent verändern muss, nur weil er eine andere Kultur und andere Werte mitbringt. Aber auch wir als Verein oder Trainer können uns nicht komplett verbiegen, um auf einen einzelnen Spieler einzugehen. Es ist ein Balanceakt. Es geht dann darum, zu kommunizieren: dem Spieler zu erklären, warum bei uns gewisse Dinge so laufen, wie sie laufen, aber auch zu verstehen, warum es bei ihm anders ist. Man darf nicht erwarten, dass man jemanden im Kern verändert – das funktioniert nicht, vor allem wenn man schon mit 18-Jährigen arbeitet, deren Persönlichkeit schon gefestigt sind. Aber Einfluss nehmen kann man trotzdem. Integration ist ein Prozess, der Zeit braucht. Man muss dranbleiben, wiederholen, beobachten. Konflikte gehören dazu – sie müssen innerhalb der Mannschaft direkt angesprochen und gelöst werden, sonst verzögert sich die Teamentwicklung.

Daniel: Ein weiteres Highlight in deiner Vita sind mehrere Einsätze als Co-Trainer der tunesischen U21-Nationalmannschaft. Wie waren da deine Erfahrungen? Brauchte es da deinerseits Anpassungen oder Verständnis für einen Trainer aus Deutschland?

Eimen: Auf jeden Fall! In Deutschland bin ich der Tunesier, klar, aber ich sehe mich selbst als Deutschen. In Tunesien bin ich ganz klar der Deutsche – da bekomme ich sogar den Spitznamen „der Deutsche“, natürlich auf Arabisch. Eine Besonderheit ist, dass das Thema „Ego“ in der tunesischen Kultur eine sehr große Rolle spielt. Ich muss mich dort bewusst zurückhalten und nur dann sprechen, wenn ich gefragt werde, weil alles andere als unhöflich angesehen werden könnte. Das ist eben der kulturelle Unterschied. Ich musste mich da definitiv erst anpassen –andere Kultur, andere Regeln – das ist nicht immer einfach. Andererseits hat es auch Vorteile: beispielsweise, wenn du fünf Minuten zu spät kommst, bist du trotzdem noch pünktlich. Das wird nicht als unpünktlich angesehen, was hier in Deutschland natürlich ganz anders wäre. 

Eine Anekdote: Treffpunkt zum Mittagessen war um 14 Uhr. Ich war pünktlich – und dachte zunächst, ich sei zu spät, weil niemand da war. Also hetze ich durch das riesige Hotel zur Mensa, völlig verschwitzt – doch auch dort: niemand. Zurück am Treffpunkt, so gegen 14:07 Uhr, trudelten langsam die ersten Spieler und das Trainerteam ein. Um 14:15 Uhr ging’s dann ganz entspannt gemeinsam zum Essen – ganz ohne Stress. In Deutschland wäre das undenkbar – da wären alle schon zehn Minuten vorher da.

Daniel: Dann hast du dich da ein wenig angepasst?

Eimen: Nein, ich bin trotzdem um 14 Uhr da. Das ist meine innere Uhr - ich bin sonst zu unruhig (lacht).

Daniel: Hättest du Tipps für den jungen Eimen oder für andere Leute, die sich für das interessieren, was du jetzt machst, die aber noch ganz am Anfang sind? Was wünschst du dir für die Trainer*innen und den Jugendfußball?

Eimen: Ich bin mir sicher, der Eimen vor fünf Jahren wäre stolz auf mich. Was ich den Leuten mitgeben würde, ist vor allem Geduld. Geduld und Hartnäckigkeit. Viele Trainer, die mit mir angefangen haben, waren sehr gut, aber sie haben früh aufgegeben. Der Weg geht nicht immer bergauf. Man muss manchmal sehr, sehr viel zurückstecken. Es war auch bei mir nicht immer einfach, und es gab viele Rückschläge und Widerstände. Aber ich bin immer drangeblieben. Das ist der Punkt: Gegen Widerstände arbeiten, dranbleiben und geduldig sein. 

Für den Jugendfußball wünsche ich mir, dass einfach mehr Fußball gespielt wird. Wir waren die letzte Generation – ich bin Jahrgang 1994 – die noch regelmäßig draußen Fußball gespielt hat. Du bist nach Hause gekommen, hast dir den Ball geschnappt und einfach auf der Straße oder auf dem Bolzplatz gespielt. Wir hatten nur den Ball und je zwei Rucksäcke als Tore. Es ging darum, den ganzen Tag draußen zu bleiben, bis die Laternen angingen und Mama oder Papa riefen, dass es Zeit fürs Abendessen ist. Das gibt es heute oft so nicht mehr. Heute sind die Kids eher drinnen und verbringen ihre Zeit vor Konsolen. Das verändert natürlich auch die Bewegungsabläufe und die koordinativen Fähigkeiten, die sie mitbringen. Deswegen müssen wir als Trainer darauf reagieren. Wir müssen den Fußball wieder in die Köpfe und Körper der Spieler bringen, diese Bolzplatz-Mentalität zurückbringen und dafür sorgen, dass die Jungs mehr spielen. Weniger Übungen mit langen Standzeiten, sondern einfach: Spielen, spielen, spielen! Das bringt uns viel mehr als alles andere, weil die Kinder heute das, was früher auf den Bolzplätzen passiert ist, nicht mehr in der gleichen Weise erleben.

Zur Person:

Eimen Baffoun, Jahrgang 1994, ist Cheftrainer einer U19-Mannschaft in der Junioren-Bundesliga. Der gebürtige Westfale gilt als jüngster Coach auf diesem Niveau deutschlandweit. Neben seiner Arbeit als Fußballtrainer macht er sich für Integration und Persönlichkeitsentwicklung im Jugendbereich stark.

Ansprechperson

Daniel Hertzler

Programmreferent „Integration durch Sport“ Pfalz

Förderer