
Interview mit dem IOC-Mitglied
Michael Mronz: Ganz sicher verdienen Sportvereine mehr Beachtung
16.05.2024 – Dominik Sonndag & Stefan Blaufelder-Bredenbeck
Zur Person
Michael Mronz

Michael Mronz, 58 Jahre, ist gebürtiger Kölner und Sportfanatiker. Er organisierte zuerst Tennisturniere, bevor er seit 1997 das CHIO Aachen, seines Zeichens die größte Reitveranstaltung der Welt, vermarktete. Neben Reiten und Tennis, war und ist Mronz unter anderem auch beim Dart, Segeln, Basketball und bei der Leichtathletik in der Eventorganisation und Vermarktung aktiv. Seit 2016 ist er der Treiber der Idee von Olympischen Spielen in der Rhein-Ruhr-Region. Jüngst wurde Mronz als dritter Deutscher ins Internationale Olympische Komitee (IOC) aufgenommen.
Herr Mronz, Sie sind über die Jahre in ganz vielen Sportarten ein oft konsultierter Experte geworden, wenn es um die Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen geht. Welches Event hat Sie zuletzt beschäftigt, bevor Sie nach Koblenz gekommen sind?
Aktuell dreht sich natürlich einiges um den CHIO Aachen, der vom 28. Juni bis 7. Juli ansteht. Top-Sport, Top-Veranstaltung, Fokus auf das Wohl der Tiere - das sind die Ziele. Die Menschen schenken uns ihre Zeit und die ist kostbar. Dem müssen wir gerecht werden. Der CHIO Aachen ist die größte Sportveranstaltung Deutschlands und das größte Reitturnier der Welt. Das ist das Ergebnis unserer bisherigen Arbeit. Wichtig ist, dass wir in der Lage sind, uns stetig weiterzuentwickeln.
Sport begeistert die Menschen seit jeher, seit Jahrtausenden will man fast sagen. Welchen Stellenwert haben Sport und Bewegung heute?
Sport spielt auch in unserer heutigen Gesellschaft eine zentrale Rolle. Sport ist nicht nur Freizeitaktivität, sondern auch als wichtiges Element der öffentlichen Gesundheit und sozialen Integration zu sehen. Er fördert körperliche Fitness und psychisches Wohlbefinden und ist ein wesentlicher Bestandteil der präventiven Gesundheitspflege. Zudem bildet Sport eine Plattform für interkulturellen Austausch und soziales Lernen, wo Werte wie Fairplay, Teamgeist und Respekt vermittelt werden.
Sie beschreiben, dass Sport mehr ist als Leistung und Gesundheit. Warum wird der organisierte Sport trotzdem nicht als Teil der Lösung der großen Problemstellungen mitgedacht? Rückblickend waren die Sportvereine ein wesentlicher Faktor, als es um die Impfquote während der Corona-Pandemie ging.
Die Sportvereine kümmern sich teilweise seit mehr als 200 Jahren um die genannten Punkte. Meist nicht, weil sie dazu aufgefordert werden, sondern, weil es in der DNA des Sportvereins liegt, sich für die Gesellschaft einzusetzen. Ganz sicher verdienen Sportvereine dafür mehr Beachtung.

Stichwort „Ehrenamt“: Dies ist die tragende Säule in den Vereinen. Zum Glück sind die Unkenrufe während Corona nicht eingetreten, wonach ehrenamtliches Engagement in den Vereinen nach der Pandemie spürbar nachlassen würde, sodass der Vereinssport auch heute noch von vielen Freiwilligen weiterentwickelt wird. Womit müssen sich die Mitarbeitenden in den Sportvereinen in naher Zukunft auseinandersetzen?
In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, in der die Anzahl der Single-Haushalte weiter steigt, werden Sportvereine immer wichtiger als soziale Treffpunkte. Sie bieten eine wichtige Möglichkeit zur Verbindung von Menschen, die sonst wahrscheinlich isoliert leben würden. Die Herausforderung für Sportvereine wird darin bestehen, flexible und attraktive Angebote zu schaffen, die auf die Bedürfnisse von Alleinlebenden zugeschnitten sind. Außerdem ist Seniorensport schon heute ein wichtiges Feld. Angesichts einer weiter alternden Bevölkerung wird auch die Bedeutung von Sport für ältere Menschen noch weiter zunehmen, um Gesundheit und Mobilität zu fördern und soziale Isolation zu vermindern.
Ein heute 75-Jähriger hat die Entwicklungen der Sportbünde in Rheinland-Pfalz live mitbekommen. Die Meilensteile alle aufzuzählen, würde die Zeichenzahl dieses Interviews sprengen. Stellen wir uns aber ein Kind vor, das heute geboren wird und in 75 Jahren auf den Sportbund Rheinland schaut. Welchen Sport sieht das Neugeborene im Jahr 2099?
Das ist ein spannender Gedanke. In einer fiktionalen Zukunft könnte die Rolle des Sports als integratives und gesundheitsförderndes Element weiter zunehmen, möglicherweise verstärkt durch technologische Innovationen wie virtuelle Realität und personalisierte Sport- und Fitnessprogramme, die zu Hause zugänglich sind. Künstliche Intelligenz wird dabei sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Es ist denkbar und es wäre wünschenswert, dass staatliche und private Sektoren noch stärker in gesundheitsfördernde Sportprogramme investieren, um den Herausforderungen einer älter werdenden und zugleich technologisch vernetzten Gesellschaft zu begegnen.
Sportvereine müssen sich zunehmend auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit konzentrieren, um relevant zu bleiben.
Schon wieder sprechen wir über die „Älteren“. Auf welche Einschränkungen bzw. Veränderungen beim Sporttreiben müssen wir uns mit Blick auf weiter steigende Durchschnittstemperaturen einstellen?
In einer Welt, in der Umweltbedingungen möglicherweise eingeschränkte Outdoor-Aktivitäten erfordern, könnten indoor und virtualisierte Sportangebote dominanter werden.
Wie könnte man sich ein solches virtualisiertes Sportangebot vorstellen?
Blicken wir auf die Corona-Zeit zurück, so sind doch in ganz vielen Sportvereinen Online-Angebote entstanden. Das war ein Vorgeschmack, wobei wir dabei den echten Trainer auf dem Bildschirm gesehen haben. In Zukunft ist es vielleicht die Trainerin, deren Bewegung und Sprache durch Künstliche Intelligenz entstanden sind – aber täuschend echt sind. Vielleicht steht der Trainer aber auch als Hologramm bei mir im Wohnzimmer. Durch die Optimierung von Bewegungsanalysen durch Künstliche Intelligenz könnte der virtuelle Trainer viel besser in der Lage sein, optimale Bewegungskorrekturen zu geben. Das war während der Corona-Pandemie noch ein Mangel bei den digitalen Sportkursen.
Wo wird der Sport aus Ihrer Sicht außerdem in naher Zukunft von Künstlicher Intelligenz profitieren?
Da gibt es eine ganze Reihe von Punkte, bei denen Künstliche Intelligenz den Sport unterstützen könnte. Wenn ich zwei Beispiele rausgreifen möchte, die auch den kleinen Verein helfen, könnte Künstliche Intelligenz dabei unterstützen, Leistungsentwicklungen vorauszusagen, und Jugendlichen entweder anzeigen, in welchen Bereichen mehr trainiert werden sollte oder welche Sportart bei der weiteren körperlichen Entwicklung erfolgsversprechender ausgeübt werden könnte. Die Drop-out-Quote von Jugendlichen, die ab einem bestimmten Alter keinen Vereinssport betreiben, könnte dadurch gesenkt werden. Außerdem könnte Künstliche Intelligenz dabei unterstützen, Verletzungen vorzubeugen, in dem ein virtueller Trainer die Trainingsinhalte oder -intensitäten je nach körperlicher Verfassung anpasst.
Schaut man sich die Smart-Watches und sonstige Wearables heute an, können diese im Ansatz die von Ihnen angesprochenen Punkte. Noch etwas weiter in die Zukunft geschaut: Wird Künstliche Intelligenz Bereiche im Vereinssport gänzlich verändern?
Eine Veränderung die grundlegend wäre, könnte man sich im Bereich des Schiedsrichterwesen vorstellen. Theoretisch wären Spiele vorstellbar, bei denen Künstliche Intelligenz den Schiedsrichter überflüssig macht, weil Entscheidungen schneller und besser erkannt werden. Hierzu wären natürlich erhebliche Kosten im technischen Bereich zu erwarten.
Glauben Sie, dass der Sportverein bzw. der organisierte Sport auch in 75 Jahren noch den Stellenwert hat, den er heute in vielen kleineren Dörfern, mittleren Städten oder Stadtteilen von Großstädten hat?
Schauen wir uns dabei die derzeitige Struktur des organisierten Sports an. Es ist extrem wichtig, eine gut organisierte Verbandsstruktur zu haben, um Sportarten und ihre Athleten zu unterstützen und zu fördern. In Zukunft könnten diese Strukturen noch wichtiger werden, um Sportarten an veränderte Umweltbedingungen und Technologien anzupassen und um die Integrität des Sports in einer zunehmend digitalisierten Welt zu sichern.
Sie sprechen den Leistungssport an, welche Rolle muss man in der Zukunft von ihm erwarten?
Leistungssport könnte verstärkt als ein Schaufenster für technologische und menschliche Leistungen dienen und gleichzeitig wichtige Impulse für den Breitensport liefern. Außerdem wird es immer so sein – schon bei den alten Griechen und den Römern war es so – dass Sport und sportliche Vergleiche die Menschen in ihren Bann ziehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es auch in 75 Jahren noch Olympische Spiele der Neuzeit geben wird.
Sportliche Events sind Freizeitaktivitäten. Wie muss sich der Sportverein in 75 Jahren aufgestellt haben – inhaltlich und organisatorisch – um in der immer differenzierteren Welt der Möglichkeiten seinen Platz verteidigen zu können?
Sportvereine müssen sich zunehmend auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit konzentrieren, um relevant zu bleiben. Die Nutzung digitaler Medien zur Organisation und Durchführung von Trainingseinheiten, die Einbindung unkonventioneller und flexibler Sportarten sowie Angebote, die auf spezifische demografische Gruppen zugeschnitten sind, könnten essenziell werden. Sportvereine könnten sich zudem zu multifunktionalen Zentren entwickeln, die neben Sport auch andere gesellschaftliche Funktionen wie Bildung und soziale Dienste anbieten.
In einem Zentrum, das Bildung und soziale Dienste in einem Sportverein stattfinden lässt, werden die heutigen Werte des Sports „Respekt“, „Akzeptanz“, „Fairness“ und „Solidarität“ wohl eine noch prägendere Rolle spielen?
Die Grundwerte des Sports sind nicht nur modernen Ursprungs. Bereits im antiken Rom hatte der Sport einen bedeutenden Stellenwert in der Gesellschaft und diente als Mittel zur Förderung von Bürgerstolz und gemeinschaftlicher Identität. Diese historische Perspektive verdeutlicht, dass die Werte des Sports tief in der menschlichen Kultur verwurzelt sind und wahrscheinlich auch in 75 Jahren von großer Bedeutung sein werden, vor allem als Gegengewicht zu einer möglicherweise noch stärker technologiegetriebenen und individualisierten Gesellschaft. Die Herausforderung wird darin bestehen, diese Werte aktuell und relevant zu halten und sie an neue gesellschaftliche Realitäten anzupassen. Dies könnte bedeuten, dass Sportvereine und -organisationen innovative Wege finden müssen, um beispielsweise Inklusion und Diversität weiter zu fördern und zu einer gesunden, integrierten Gemeinschaft beizutragen.
Im Gespräch mit Michael Mronz waren Dominik Sonndag und Stefan Blaufelder-Bredenbeck.
Fotos: Frey