
Kapitel 2: Entscheidung
Motive und Nutzen des Engagements von Sportvereinen im Ganztag
Festlegung von Zielen
Ziele von Sportvereinen und Schulen sind nicht zwingend identisch. Sportvereine verfolgen in erster Linie die Aufgabe, Sportangebote für ihre Mitglieder bereitzustellen, Schulen haben einen staatlichen Bildungsauftrag. Die Festlegung gemeinsamer Ziele ist eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Kooperation. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung und der Nachhaltigkeit umso größer, je konkreter die Ziele formuliert und schriftlich fixiert werden. Beide Kooperationspartner sollten gemeinsame Möglichkeiten zur Zielerreichung vereinbaren. Zudem sollte die regelmäßige Überprüfung der Zielerreichung und entsprechende Anpassung des Angebotes in regelmäßigen Abständen erfolgen.
Bei der Festlegung der Ziele ist der Aspekt des Nutzens von entscheidender Bedeutung aus Sicht des Sportvereins. Ein Sportverein sollte sein Leistungspotenzial durch die Kooperation erhalten oder erweitern. Daher ist die Auseinandersetzung mit dieser Frage im Vorfeld einer Kooperation nicht nur legitim, sondern zwingend notwendig.
Welche möglichen Vorteile und Nutzen kann der Verein aus einer Kooperation mit Ganztagsschulen gewinnen?
Was bringt es dem Verein, wenn er sich im Ganztag engagiert?
Eine Kooperation bietet eine Vielzahl an Chancen, von denen im Folgenden einige aufgeführt sind.
Heranführung von Kindern und Jugendlichen an Bewegung und Sport
Sportvereine haben die gesellschaftspolitische Selbstverpflichtung übernommen, vielseitige, an die jeweiligen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen angepasste Sportangebote bereitzuhalten. Diese nun auch in die Ganztagsschulen zu bringen und den Kindern und Jugendlichen den Spaß an der Bewegung zu vermitteln, ist eine erweiterte Aufgabe des Vereins. Je mehr Bewegungskompetenzen in der Schule vermittelt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schüler am Sport und den Sportvereinen interessiert sind. Insofern ist die Beteiligung an Ganztagsangeboten als aktiver Beitrag an diesem für den Verein positiven Effekt zu betrachten.
Anerkennung in der Öffentlichkeit
Engagement im Ganztag bedeutet Wahrnehmung der sozialen Funktion vor Ort. Insofern gehören die Imageverbesserung und die Anerkennung in der Öffentlichkeit durch soziales Engagement zu den primären Vorteilen der Vereine im Ganztag. Die öffentlich wirksame Kommunikation der Beteiligung am Ganztag führt zu einer positiven Wahrnehmung des Vereins, bei Vereinsmitgliedern, Einwohnern, anderen Vereinen, Sponsoren, kommunalen Vertretern, Medien, etc. Neben dem Imagegewinn durch die Beteiligung an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, besteht eine Chance für die Vereinsentwicklung in der örtlichen Vernetzung von Schule, Jugendhilfe und Sport.
Gewinnung neuer Vereinsmitglieder
Aus Sicht der Vereine ist eine Kooperation insbesondere dann als erfolgreich einzustufen, wenn eine positive Entwicklung der Mitgliederzahl im Kinder- und Jugendbereich zu verzeichnen ist. Die Bereitstellung von Angeboten im Ganztag kann der Verein dazu nutzen, eine größere Zielgruppe zu erreichen. Durch GTS-Kooperationen wird der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufgebaut, welche der Verein sonst evtl. nicht erreicht. Optimal ist es, wenn bereits in der Konzeption der Angebotsform Anreize für eine Mitgliedschaft im Verein Berücksichtigung finden (s. Kapitel 3 GTS Engagement und Mitgliedergewinnung). Auch die Gewinnung potenzieller neuer Mitglieder in den Reihen der Freunde, Geschwister, Eltern, etc. sollte als Option aktiv genutzt werden. Es ist dem Verein ausdrücklich gestattet, im Rahmen einer Kooperation mit einer Ganztagsschule, für sich als Verein zu werben z.B. durch die Ausgabe des Übungsplans.
Bindung bestehender Vereinsmitglieder
Neben der Gewinnung neuer Mitglieder können die Angebote im Ganztag auch als Maßnahme zur Mitgliederbindung dienen z.B. wenn Schüler bereits im Verein aktiv sind und im Rahmen des Schulprogramms zusätzlich Angebote des Vereins nutzen. Die Präsenz des Vereins in der Schule hat einen stärkenden, positiven Einfluss auf den Bindungseffekt. Möglicherweise besteht auf diese Art auch die Chance, passive Mitglieder zu reaktivieren.
Sicherung von Sportstättenkapazitäten
Die Kooperation mit einer oder mehreren Schulen auf Ganztagsebene kann aus Vereinssicht genutzt werden, um dem Problem der begrenzten Sportstättenkapazitäten zu begegnen. Sportvereine mit einer Kooperation können möglicherweise leichter bereits am Nachmittag, vereinzelt auch am Vormittag, Zugang zu den kommunalen Sportstätten erhalten. Durch eine Kooperation besteht die Chance, Hallenzeiten erschließen, die vor der Einführung der Zusammenarbeit mit einer Ganztagsschule nicht nutzbar gewesen wären. Es ist anzunehmen, dass eine gute Netzwerkbildung mit den schulischen Akteuren und kommunalen Schulträgern auch einen positiven Effekt auch die Hallennutzung nach sich zieht. Die Vergabe der Hallenzeiten in kommunalen Sportstätten erfolgt durch die Kommune, Ganztagsschulen erhalten hier den Vorzug vor Vereinen.
Talentsichtung und leistungsorientierte Förderung
Sport im Ganztag heißt vor allem die Entwicklung sportlicher Begeisterung und Betätigung. Priorität haben daher oft sportartübergreifende Angebote, die alle Schülerinnen und Schüler teilhaben lassen. Dies schließt aber nicht die Möglichkeit der Talentsuche und individueller Förderung aus. Ganztagsangebote können durchaus aus Vereinssicht dazu genutzt werden, besondere sportliche Kompetenzen zu entdecken. Hier besteht eine gute Möglichkeit der individuellen Ansprache besonders talentierter Schülerinnen und Schüler und der Hinführung zur Fortsetzung der entsprechenden Sportart auf einem leistungsorientierten Niveau im Verein. Die Grenzen einer individuellen Leistungsförderung im Rahmen des Ganztagsangebotes selbst sind sicherlich gegeben. Dennoch besteht auch hier die Möglichkeit, bei entsprechender Konzeption auch leistungsorientiert im Ganztag zu fördern (s. Kapitel 3 GTS-Engagement und Mitgliedergewinnung).
Individuelle Förderung
Sport im Ganztag bietet auch die Chance, sich speziell leistungsschwächeren Zielgruppen zu widmen. Hier besteht die Möglichkeit einer gezielten psychomotorischen Förderung für bewegungsängstliche, ungeschickte Kinder. Durch Stundenkonzepte, die intensiv auf die Bedürfnisse dieser Schüler eingehen, können motorische Defizite ausgeglichen werden und der Spaß an Sport und Bewegung geweckt werden.
Einführung und Verbreitung neuer Sportarten
Es muss nicht immer Fußball sein! Insbesondere für weniger verbreitete Sportarten, Nischen- und Trendsportarten, besteht eine gute Chance, sich im Rahmen des Ganztagsangebotes zu präsentieren. Ob neue oder traditionelle Sportarten verpackt im modernen Gewand – hier besteht eine gute Präsentationsplattform, für Bewegungsformen aller Art. Auch Vereine mit einem bisher eher klassischen Sportangebot können im Ganztag anhand der Rückmeldung der Schüler optimal feststellen, welche Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote bei Kindern und Jugendlichen gut ankommen und eine erfolgreiche Ergänzung der bisherigen Angebotsspektrums des Vereins bieten.
Refinanzierungsmöglichkeit von hauptamtlichen Mitarbeitern
Hauptamtlich tätige Mitarbeitende in der Sportpraxis und in der Vereinsführung entlasten das Ehrenamt und unterstützen die Professionalisierung der Vereinsstruktur. Insbesondere in größeren Vereinen ist die Beschäftigung hauptamtlicher Kräfte unumgänglich, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch diese Mitarbeitenden müssen auch vom Verein finanziell getragen werden. Neben den vereinsinternen Tätigkeitsfeldern kann auch das Ganztagsangebot eine gute Möglichkeit zur Refinanzierung dieser Personen sein. Ob als Minijobber oder Teilzeitbeschäftigter, ob Sport- und Gymnastiklehrer oder Übungsleiter, die Möglichkeiten sind vielfältig und können auf die individuelle Situation angepasst werden. Auch für die Beschäftigung von FSJlern ist der Ganztag ein gut geeigneter Baustein im Tätigkeitsprofil. Durch die Einstellung hauptamtlichen Personals können auch über die Ganztagsschule hinaus zusätzliche Einnahmen für den Verein generiert werden, z.B. Einnahmen aus Kursen, die der hauptamtliche Trainer im Verein anbietet.
Sportangebote im Ganztag
Besonderheiten des Sports im Ganztag
Die Besonderheit des Sportangebotes im Ganztag liegt darin, dass es weder dem Schulsport noch dem Vereinssport zugeordnet werden kann. Es gibt im Gegensatz zum Sportunterricht keine Noten und weniger Sanktionsmöglichkeiten, aber dennoch ist die Teilnahme der Ganztagsschüler verpflichtend. Der außerschulische Mitarbeiter wird in der Rolle des Lehrers gesehen, hat aber in der Regel keine pädagogische Ausbildung. Dies sind nur einige Beispiele, die das Spannungsfeld beschreiben, in dem sich das Sportangebot im Ganztag bewegt.
Sportangebote im Ganztag sind als Bindeglied zwischen Schul- und Vereinssport zu sehen, da sie mit beiden Bereichen Schnittmengen aufweisen. Die Konzepte des Vereinssports oder des Sportunterrichts sind nicht unverändert auf den Sport im Ganztag übertragbar. Vielmehr ist aufgrund der spezifischen Kombination an Eigenschaften „Sport im Ganztag“ eine eigenständige Angebotsform, die sich vom Sportunterricht und Vereinstraining absetzt.
Merkmale Sportunterricht
- Staatlicher Bildungsauftrag
- Hierarchisch organisiertes System
- In der Regel vormittags zwischen 8.00-13.00 Uhr
- Pflichtteilnahme aller Schüler
- leistungs-/ und motivationsheterogene Gruppen
- i.d.R. ausgebildete Sportpädagogen, mit Kompetenzen in allen Schulsportarten
- Lehrpläne/Pädagogisches Konzept
- Notengebung
- Überwiegend klassische Sportarten
Merkmale Vereinssport
- Unabhängig vom Staat
- Prinzip der Selbstorganisation / Gestaltungswille der Mitglieder
- nachmittags ab 15.00 Uhr
- Freiwillige Teilnehmer
- i.d.R. ehrenamtliche Übungsleiter, Trainer mit meist sportartspezifischen Kompetenzen
- Freie Gestaltung der Inhalte, obliegt dem Übungsleiter/Trainer
- Partizipation der Schüler möglich
- im Kinder- und Jugendbereich vorwiegend leistungs- und wettkampforientiert
- Dominanz klassischer Sportarten, aber auch „neue“ Bewegungsformen
Merkmale Sport im Ganztag
- schulische Veranstaltung
- obliegt dem Verantwortungsbereich des Schulleiters
- i.d.R. nachmittags zwischen 14.00-16.00 Uhr
- Pflichtteilnahme der Ganztagsschüler
- i.d.R. Übungsleiter C, Trainer, ÜL B „Sport im Ganztag“
- Freie Gestaltung der Inhalte, obliegt dem Übungsleiter/Trainer
- Partizipation der Schüler möglich
- Klassische Sportarten, aber auch „neue“ Bewegungsformen
Besonderheiten der Zielgruppe berücksichtigen
Die Besonderheiten der Zielgruppe sind bei der Planung des Ganztagsangebotes zu berücksichtigen. So handelt es sich in der Zusammensetzung um meist stark heterogene Gruppen bezogen auf:
- Leistungsstärke
- Motorik
- Motivation/Erwartungshaltung
- Sporterfahrung
- Geschlecht
- Alter
- Soziale Herkunft
- Kulturelle Hintergründe
Daraus folgt für die Angebotsentwicklung:
- Qualifikation besonders im Bereich pädagogischer Kompetenzen notwendig
- Reflexion der veränderten Rolle (Übungsleiter ßàLehrer)
- Methodisch angepasste Varianten des Vereinstrainings
- Größerer Bedarf an Differenzierungsmethoden
- Großes Repertoire an Übungs- und Spielideen, um gruppen- und situationsbezogen reagieren zu können
- Aktives Mitspracherecht und Partizipation für Schüler einräumen
Mögliche Angebotsformen
Welches Angebot durchgeführt wird, hängt zum einen von den Wünschen und dem Bedarf der kooperierenden Schule ab. Entscheidend ist aber, was möchte und vor allem kann der Verein der Schule qualitativ hochwertig anbieten. Eine wesentliche Chance der Kooperation besteht darin, dass in der Ganztagsschule Spiele, Sport und sportliche Trends Berücksichtigung finden, die bisher nicht im klassischen Schulsport vertreten sind. In Ergänzung zu klassischen Sportangeboten können oder sollten auch „ausgefallene“, also nicht schulsport-typische Bewegungs- und Sportformen im Ganztagesangebot aufgenommen werden. Insbesondere durch Trendsportarten ist es möglich, Begeisterung für Sport und Bewegung bei Schülern zu wecken.
Ganztagsschulen in der Nähe
Natürlich ist es ein entscheidendes Kriterium für den Beginn einer Kooperation, ob es überhaupt eine Ganztagsschule in vertretbarer Nähe zu Ihrem Verein gibt. Neben den Informationen und Kontakten, die in Ihrem Verein bestimmt ohnehin vorhanden sind, erhalten Sie auf der Webseite des Bildungsministeriums Informationen über Ganztagsschulen in Ihrer Nähe.
Facts
- Stürzen Sie sich nicht „Hals über Kopf“ in eine Kooperation
- Wägen Sie sorgfältig Aufwand und Nutzen für Ihren Verein ab
- „Sport im Ganztag“ unterscheidet sich von „Sport im Verein“
- Dies erfordert unter Umständen auch eine Anpassung des Angebots
- Im Bildungsatlas auf der Webseite des Bildungsministeriums finden Sie Ganztagsschulen in Ihrer Nähe